Dolce Vita in der DDR

Dokumentation | 2013

ZUM FILM:

Die DDR war eine Art Insel. Da die Welt drum herum nicht besucht werden konnte, traten Künstler, Intellektuelle, aber auch „ganz normale Bürger“ die Flucht ins Innere an: die Flucht auf einen Elbdampfer. Sie bestiegen ein Schiff der Träume- ohne Steuermann, ohne Gesetze, ohne Ziel. Ein Schiff, dessen Existenz möglicherweise der Fantasie der Passagiere entspringt. Denn heute kann niemand mehr wissen was Fantasie und was Wirklichkeit war …

Die Idee für diese Fluchten in eine Welt außerhalb aller DDR-Realitäten hatte der Orgelbauer Kristian Wegscheider. Seine Liebe zur Oper und zu den schönen Künsten veranlasste ihn 1986 erstmals dazu einen Dampfer zu mieten und mit einem erlesenen Kreis von fröhlichen „Aussteigern“ einen Tag zu verbringen wie in einem italienischen Film. Als Inspiration diente Frederico Fellinis „Schiff der Träume“. Wegscheider hatte sich so geärgert, dass Fellinis Film nicht in der DDR zu sehen war, dass er die Szenerie kurzerhand selbst nachstellte, mit Opernsängern und Musikern an Bord.
Ein Jahr später, 1987, organisierte Wegscheider gleich zwei Fahrten. Eine Dampferfahrt und eine Zugfahrt. Eine Fest, zwei Tage lang. Die Zugfahrt wurde zum unvergesslichen Ereignis. In jedem Wagon spielte andere Musik. Wegscheider wollte, dass auf jedem Bahnsteig ein Hauch Musik nachklingt, wenn der Zug den Bahnhof verlässt. Die Melancholie des Abschieds wehte über die Gleise. Später sollen Indianer aus dem Karl- May- Museum Radebeul den fröhlichen Zug überfallen haben. Der Lokführer wurde gefesselt und beim Rauchen einer Friedenspfeife von Wegscheider wieder freigekauft. Absurde Szenerien, die wie in einer großen Inszenierung wirkten. Die Stasi ist immer mit dabei, es werden Berichte geschrieben, die irritiert und voller Befremden die Tatsachen wiedergeben, aber nie über Hintergründe reflektieren. Ein politischer Hintergrund wird gesucht, aber nie gefunden. Kristian Wegscheider und seine Gäste sollen wegen der Bildung eines politischen Untergrunds in der DDR überführt werden. Nachweisen konnte die Stasi nie etwas. Eher feiert die Stasi inzwischen begeistert mit und die Berichte werden von Jahr zu Jahr euphorischer.
1988 folgt „Lila- der letzte Versuch“, eine Dampferfahrt, die der letzte Versuch sein sollte, eine Lebenskultur in einem Land zu etablieren, welches Kultur immer als dekadent und staatsfern betrachtet hat. „Wir haben bei dieser letzten Fahrt, ohne es zu wissen, das Ende der DDR vorweg genommen.“ sagt Kristian Wegscheider. Und wieder wird gesungen und getanzt. es werden spitzfindige Reden mit delikaten Seitenhieben auf die Parteidoktrin verlesen und am Ende schlängelt sich ein langer Stoffwurm auf einen Obstberg zu, den die mitreisenden Westberliner gesponsert hatten. „Der Wurm waren wir, der Wurm im morschen Gebälk der DDR, der sich in Richtung eines „Westberges“ bewegt .“ Ein Jahr später fällt die Mauer.

Fotos, private Filmausnahmen und natürlich die Aufzeichnungen in Stasiakten dokumentieren die wundersamen Reisen des Kristian Wegscheider. Reisen, die in der DDR eigentlich unmöglich waren und doch hat es sie gegeben und sie sind der Beweis dafür, dass die Lust am Üppigen, Knallbunten, Übertriebenen und Lauten im Osten sehr lebendig war.

CREDITS

stab:

Buch & Regie: Henrike Sandner
Kamera: Erik Schimschar
Schnitt: Uli Stein
Sprecher: Viola Sauer, Thomas Arnold
Produktionskoordination: Amelie Menger
Produktionsleitung: Marcus Boehnke
Herstellungsleitung: Alecsander Faroga
Producer: Volker Schmidt- Sondermann
Redaktion MDR: Katja Wildermuth, Martin Hübner
Produzenten: Thomas Teubner (PROVOBIS), Martin Choroba (TELLUX)

technische daten

Sendetermin (Erstausstrahlung): 30. April 2013, 22:05h, MDR