Die Vergessenen – Tod, wo andere Urlaub machen

Dokumentation | 2011

ZUM FILM:

In ihrem 45-minütigen Dokumentarfilm schildern Freya Klier und Andreas Kuno Richter dramatische Fluchtversuche von DDR-Bürgern über die bulgarische Grenze: Wie durch ein Wunder gelingt es 1974 dem Berliner Michael Schulz und seiner Frau, sich an einem überfüllten Grenzkontrollpunkt auf türkisches Gebiet zu mogeln. So glücklich wie dieser Fluchtversuch verläuft kein zweiter …

Der Plan eines Geschwisterpaares aus Dresden, den bulgarischen Grenzzaun nach Jugoslawien zu überwinden, scheitert 1983 auf tragische Weise. Wie die meisten DDR-Bürger, die sich mit Fluchtgedanken tragen, steckten zunächst auch Dorothea und Michael Proksch in einem inneren Zwiespalt: Da war auf der einen Seite die Angst, erschossen zu werden oder jahrelang im Gefängnis weggesperrt zu sein. Doch wuchs auf der anderen Seite auch der Drang, dem verspitzelten DDR-System zu entkommen, selbstbestimmt zu leben, nicht mehr mit lügen zu müssen. Und endlich die Welt zu sehen.

Als die beiden hoffnungsvollen jungen Musiker schließlich die Flucht wagen, ziehen sie mit einer Touristenkarte los, die sowohl in der bulgarischen als auch in der DDR-Ausgabe gefälscht ist:

Was da als Grenze zu Jugoslawien, Griechenland und der Türkei eingezeichnet wurde, ist in Wirklichkeit eine Scheingrenze, dessen Zaun bei Berührung ein Signal auslöst! Nach 16 Fluchtstunden durch eine ihnen völlig unbekannte Gebirgswelt überwinden die Dresdner schließlich den Stacheldrahtzaun… und wähnen sich nun auf jugoslawischem Gebiet. Nur Minuten später werden sie von bulgarischen Grenzern umstellt, liegen kurz darauf unter Todesangst am Boden – die Hände gefesselt, Gewehrläufe im Nacken… Auf die Geigerin Dorothea und den Pianisten Michael Proksch wartet eine Haft im bulgarischen Knast, die den Gefängnis-Alltag der DDR an Brutalität und Entwürdigung noch übertrifft… Sie kehren als Gefangene in die DDR zurück – wenigstens körperlich unversehrt.

Dem Leipziger Thomas Müller ist dies nicht vergönnt, für ihn endet der Fluchtversuch noch dramatischer. Hat sich der 21-Jährige nicht wirklich gut vorbereitet? Bevor er sich im September 1981 der bulgarisch-türkischen Grenze unweit des Schwarzen Meeres mit Fluchtabsicht nähert, hat er das Gelände bereits mehrmals inspiziert. Doch auch ihm wird der vermeintliche Grenzzaun zum Verhängnis, auch er löst bei dessen Überwindung Alarm in der nächsten Grenzstation aus… Als er von einer Patrouille gestellt wird, reißt er die Arme hoch. Doch was brüllen die da auf Bulgarisch? Thomas Müller versteht kein Wort. Er sieht noch, wie einer der Soldaten auf seinen Unterkörper zielt, dann zerfetzt eine MPi-Salve die Beine des jungen DDR-Bürgers. Bei all dem Grauen lernt Thomas Müller doch auch das andere Gesicht Bulgariens kennen: Ärzte und Schwestern im Krankenhaus Burgas nehmen sich seiner fürsorglich an. Doch auch sie können am Ende nur eines seiner Beine retten …

Die vierte Episode schildert den brutalen Grenzmord an zwei ebenfalls aus Leipzig stammenden Jugendlichen, die 1980 versuchen, nach Griechenland zu fliehen.

Andreas Stützer und Detlef Heiner brechen im März nach Bulgarien auf – zu einer Zeit, in der Touristen selten sind in der Gebirgsgegend zwischen Pirin und Rhodopen. Für die beiden scheint es die letzte Chance zur Flucht, denn im Mai haben sie ihren Wehrdienst in der verhassten NVA anzutreten. Etliche Bulgaren werden sich später der beiden blonden Jungen erinnern. Und einige Bewohner der Dörfer, in denen sie auftauchen, geben der bulgarischen Staatssicherheit einen Wink…

Kurz vor der griechischen Grenze werden Andreas und Detlef erschossen – in einem Tal unterhalb des Grenzdorfes Breschten. Sie hatten bereits ihre Hände erhoben. Zur Abschreckung für einheimische Fluchtwillige lenkt man die Esel mit den toten Körpern über den Marktplatz des Grenzdorfes…

Der Blick des Filmes „Die Vergessenen. Tod, wo andere Urlaub machen“ richtet sich auf ein Land, in dem die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur noch kaum begonnen hat. Die Schicksale von mehr als zwanzig erschossenen DDR-Bürgern konnten wir mit bulgarischen Historikern und in den Archiven der Staatssicherheit bisher recherchieren. Rechnet man die getöteten bulgarischen Flüchtlinge sowie die anderer sozialistischer Länder hinzu, steigt die Zahl auf das Zehnfache. Doch während mehr und mehr Opfer der innerdeutschen Grenze ein Gesicht bekommen, sind die am äußersten Rand des Eisernen Vorhangs Ermordeten in Vergessenheit geraten. Der 50. Jahrestag des Mauerbaus ist für uns Anlass, dies zu ändern: Noch gibt es Zeitzeugen, die sich an jene Deutschen erinnern, die ihren Freiheitswillen mit einem traumatischen Gefängnisaufenthalt bezahlen mussten, mit ihrer Gesundheit… ihrem Leben.

credits

STAB:

Buch/ Regie: Freya Klier, Andreas Kuno Richter
Recherchen Bulgarien: Vasil Ivanov Kadrinov
Kamera: Stefan Linn
Ton: Konstantin Kirilov
Schnitt: Klemens Radke
Musik: Michael Proksch
Produktionskoordination: Amelie Menger, Cornelia Schacht
Produktionsleitung: Marcus Boehnke
Herstellungsleitung: Alcesander Faroga
Redaktion RTL: Dieter Czaja
Produzent: Thomas Teubner

technische daten

Sendetermin (Erstausstrahlung): 07. August 2011, 23:10h, RTL